Datenräume für die Stadtlogistik

15 Apr 2024

Sara Sánchez, Forscherin am Zaragoza Logistics Center (ZLC)

VON SARA SÁNCHEZ
Forscherin am Zaragoza Logistics Center (ZLC)

Die urbane Logistik spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung nachhaltiger und lebenswerter Städte. Die Gestaltung eines umweltfreundlichen Logistikmodells ist unerlässlich, um mit den Trends der Stadtentwicklung Schritt zu halten und gleichzeitig Innovationen im städtischen Vertrieb umzusetzen.¹ Zum einen ist die Logistik in den Städten eine Herausforderung, da Staus, Lärm und vor allem die Treibhausgasemissionen reduziert werden müssen. Andererseits ist die Herausforderung, Innovationen und vor allem die Digitalisierung voranzutreiben, stets präsent. Die Digitalisierung der Mobilität wird als Übergang zu effizienteren Verkehrssystemen bezeichnet.²

Daten sind ein wichtiges strategisches Gut im Rahmen der europäischen Strategie

Die Digitalisierung der Städte wurde in den vergangenen Jahren als eine Lösung zur Steigerung der Kapazität und Effizienz der Verkehrs- und Energiesysteme angesehen, indem sie Initiativen zur Dekarbonisierung vorantreibt.³ Sie bietet erhebliche Vorteile für die Lieferkette: verbesserter Zugang zu Informationen, Optimierung der Logistikverfahren, Datenerfassung in Echtzeit, effizientere Bestandsverwaltung und größere Transparenz.⁴

Bei der Digitalisierung werden verschiedene Technologien und Plattformen eingesetzt, auf denen große Datenmengen gespeichert, organisiert und verwaltet werden. Diese als Data Spaces (Datenräume) bezeichneten Plattformen ermöglichen die Verfügbarkeit vorhandener Informationen und wahren gleichzeitig die Nutzungskontrolle und die Privatsphäre der Eigentümer.

Datenräume, ein strategisches Gut

Der Datenraum ist ein Ökosystem, in dem verschiedene Akteure freiwillig und auf sichere Weise Informationen austauschen und dabei gemeinsame Mechanismen für die Verwaltung, Organisation, Rechtsetzung und Technik anwenden. Mit diesen Maßnahmen werden das Vertrauen der Teilnehmer und die Souveränität über ihre Daten sichergestellt und ein Peer-to-Peer-Austausch ermöglicht. In einem Datenraum behält jeder Nutzer die Kontrolle über seine Informationen und bestimmt, unter welchen Bedingungen sie verwendet werden können.

Daten sind im Rahmen der europäischen Strategie für intelligente und nachhaltige Mobilität ein wichtiges Gut. Die Europäische Union fördert Datenräume, die sich positiv auf den Sektor auswirken und zu einem funktionelleren, sichereren und umweltfreundlicheren Verkehrssystem führen sollen.

Datenräume in der urbanen Logistik

Ein Datenraum in der urbanen Logistik bezieht sich auf eine digitale Umgebung, in der für logistische Abläufe relevante Informationen verwaltet und gespeichert werden. Die Integration digitaler Technologien verbessert ihre Effizienz und Sichtbarkeit, und mehrere europäische Projekte haben ihren Einsatz bereits geprüft.

Entwicklung von Datenräumen in Richtung eines föderalen Datenaustauschs

Entwicklung von Datenräumen in Richtung eines föderalen Datenaustauschs⁵

 

Zu diesen Projekten gehört DISCO, eine Abkürzung für datengesteuerte, integrierte, synchronisierte, kollaborative und optimierte städtische Güterverteilung. Ziel ist die Schaffung einer neuen Generation von urbanen Logistik durch Datenaustausch in europäischen digitalen Innovationslabors.

Das letztendliche Ziel von DISCO ist der Übergang zu dekarbonisierten und digitalen Städten, die Bereitstellung von Rahmenbedingungen und Instrumenten zur Erreichung dieses Ziels und ein Paradigmenwechsel in der Logistik und Stadtplanung mit einem Ansatz basierend auf dem Physical Internet (PI). Die sich daraus ergebende dynamische und optimale Neuverteilung des Raums integriert den städtischen Güterverkehr in ein effizient betriebenes Netz von Netzen - unterstützt durch ein PI. Dieser Prozess nutzt ungenutzte Flächen und Ressourcen und umfasst sowohl feste als auch mobile Infrastrukturen, die sich an den Durchsatzbedarf anpassen. Dies wird durch vier Wendepunkte erreicht:

  • Verbesserung der durchgehenden Transparenz in der gesamten Lieferkette.
  • Schaffung eines gemeinsamen städtischen Cloud-Ökosystems, das Zuverlässigkeit und Datenschutz gewährleistet.
  • Unterstützung der Städte bei der Umsetzung einer nachhaltigen städtischen Logistikplanung.
  • Beschleunigung der Einführung und Verbreitung innovativer Geschäftsmodelle basierend auf partizipativen Grundsätzen.

Umsetzung des DISCO-Projekts

Zur Umsetzung der Maßnahmen in DISCO ergänzen Datenräume für den städtischen Güterverkehr eine Reihe von Metamodellen, indem sie semantische Interoperabilität in mehrstufige Datenmanagementsysteme einführen. Es werden kommerzielle, private und offene Quellen aus einem koordinierten Austausch verwaltet.

Die fünf DISCO-X-Modelle, die den Metamodellsatz bilden, sind:

  • DISCOCURB. Gemischte Nutzung und dynamische Verwaltung des Straßenraums. Dabei geht es um die intelligente und flexible Nutzung von Bürgersteigen z. B. als Lade- oder Parkflächen. Es nutzt fortschrittliche Analysen und digitale Zwillinge.
  • DISCOPROXI. Es basiert auf städtischen Ecken oder Schließfächern für Nahlieferungen und Omnichannel-Lieferungen. Damit sollen sowohl die Abholungen als auch die Zustellungen in kleinen Zentren mit schadstoffarmen Fahrzeugen wie Lastenrädern optimiert werden.
  • DISCOESTATE. Im Rahmen dieses Modells werden Räume in Gebäuden gesucht, die für eine multifunktionale und vorübergehende Nutzung geeignet sind, um die Zuverlässigkeit der B2B/B2C-Lieferungen zu verbessern.
  • DISCOBAY. Multimodale Docks oder Distributionszentren – z. B. auf der Schiene oder dem Wasserweg – für eine umweltfreundliche Lieferung auf der letzten Meile für eine bessere CO2-Bilanz.
  • DISCOLLECTION. Intelligente Datenerfassungsmethoden für eine erweiterte Zugangskontrolle und Routenverwaltung in Echtzeit.

DISCO agiert horizontal und in Abstimmung mit den Städten, die voneinander lernen und ihre Probleme vergleichen können. Einige Städte haben bereits Datenräume in ihre urbane Logistik integriert, darunter Kopenhagen, Gent, Thessaloniki und Helsinki. Andere Städte wie Padua, Barcelona, Valencia und Zaragoza folgen bereits ihren Beispielen.

Kopenhagen: Daten von Logistikanbietern

Die Stadt Kopenhagen nutzt gemeinsam genutzte Transporteinrichtungen wie städtische Microhubs und offene Konsolidierungszentren, indem sie in Echtzeit Daten von Logistikdienstleistern erfasst. Die Stadt arbeitet an einem innovativen dynamischen Raummanagement- und Stadtplanungsinstrument als Erfolgsgeschichte im kleinen Maßstab für eine effiziente und flexible Nutzung von Bürgersteigen. Sie entwickelt auch ein neues nachhaltiges Geschäftsmodell für ein offenes Konsolidierungszentrum in der Stadt durch intelligente Gütertransportanlagen.

Gent: dynamische Zugangskontrolle

Die belgische Stadt fördert die öffentlich-private Zusammenarbeit, um eine dynamische, automatisierte Kommunikation zu realisieren und Anreize für eine effiziente, emissionsfreie Zustellung auf der letzten Meile zu schaffen. Sie investiert Zeit in die Modernisierung und Verbesserung der dynamischen Zugangskontrolle (DAC), die die Kommunikation zur Verbesserung nachhaltiger Routen für Güterfahrzeuge optimiert. So schafft sie z. B. geeignete Übergabemöglichkeiten an bestimmten Zentren und setzt optimale und umweltfreundliche Lieferrouten und -methoden ein z. B. Lastenfahrräder und städtische Flussschiffe.

Thessaloniki: Logistikzentren in nicht ausgelasteten Anlagen

Thessaloniki sieht eine multifunktionale und temporäre Nutzung von Gebäuden als Logistikzentren vor. Die Initiative basiert auf der intelligenten Datenerfassung durch Sensoren am Straßenrand, die zur Erkennung von Warenströmen und zum emissionsfreien Güterverkehr beitragen. Die griechische Stadt entwickelt innovative Geschäftsmodelle und Dienstleistungen und möchte ihre WareM&O-Plattform (Warehouse as a Service) mit Blockchain bereichern. Diese enthält bereits einen Algorithmus für faire Preise, um kommerzielle Vereinbarungen im Bereich WaaS zu fördern.

Darüber hinaus plant die Stadt die multifunktionale Nutzung von strategisch günstig gelegenen Gebäuden des Messegeländes TIF HELEXPO als logistische Drehscheibe – wenn keine Veranstaltungen anstehen. Sie sollen für den Betrieb gemeinsamer Transport- und Logistikeinrichtungen und deren Optimierung durch intelligente Tools und umweltfreundliche Lösungen für die letzte Meile zur Verfügung stehen.

Helsinki: emissionsarme Zonen

In der finnischen Hauptstadt werden Microhubs oder kleine multifunktionale Logistikzentren mit flexibler Nutzung eingerichtet, die den emissionsfreien Güterverkehr fördern. Ein dynamisches System zur Verwaltung von Bürgersteigen wird implementiert, das die flexible Nutzung von Be- und Entladezonen und Parkplätzen sowie die Simulation einer dynamischen emissionsarmen Zone ermöglicht.

Die Stadt entwickelt auch ein neues Geschäftsmodell, mit dem sich Unternehmen besser im Netz der multifunktionalen Microhubs ansiedeln können, die an unzureichend genutzten städtischen Standorten eingerichtet werden. Diese Räume werden der örtlichen Wirtschaft und den Einwohnern zugute kommen, die Roller und E-Bikes, Ladestationen, Wartungs- und Lagerungsdienste für diese Fahrzeuge sowie Sammelschließfächer gemeinsam nutzen können. Die Ergebnisse des Pilotprojekts in Helsinki sollen die Umweltverschmutzung durch die Logistik auf der letzten Meile verringern und die Qualität der Dienstleistungen verbessern.

Verschiedene Städte haben bereits Datenräume in ihrer Logistik eingeführt

Andere Städte auf der letzten grünen Meile

In Spanien fördern Barcelona, Valencia und Zaragoza ein B2C- und B2B-Netz für den örtlichen Handel auf der letzten Meile, indem sie Microhubs in unzureichend ausgelasteten Gebieten mit dem Einsatz von Prognosemodellen und emissionsfreie Fahrzeugen aufwerten.

  • Barcelona. Die Stadt Barcelona entwickelt ein innovatives Verfahren für die Verwaltung von Parkplätzen am Bürgersteig. So werden den eingehenden Anfragen je nach Fahrzeuggröße Plätze für einen bestimmten Zeitraum zugewiesen. Auch Barcelona wendet dynamische Warenbewegungsmodelle und fortschrittliche Datenanalyselösungen an, die die Effizienz von Logistiklösungen unterstützen und die Warenströme mittels intelligenter Sensoren optimieren, die auf Parkplätzen zum Be- und Entladen installiert sind und Daten in Echtzeit sammeln.
  • Valencia. Die Stadt prüft den Einsatz von Microhubs in nicht ausgelasteten Räumen, die für B2B/B2C bestimmt sind und mit einer einheitlichen Flotte von 100 % elektrischen und emissionsfreien Fahrzeugen betrieben werden. Darüber hinaus bemüht sich Valencia um die Ermittlung und Einbeziehung ungenutzter Flächen und verfügbarer öffentlicher Grundstücke, um eine erweiterte Karte von Flächen zu erstellen, die als Konsolidierungszentren in Frage kommen.
  • Zaragoza. Es wird ein Partnerschaftsmodell zwischen einem Anbieter der letzten Meile und der Stadtverwaltung erarbeitet, um einen nicht ausgelasteten Raum zu ermitteln und einen logistischen Microhub mit elektrischen Ladestationen einzurichten. Außerdem strebt die Stadt die Einführung datengesteuerter Logistikdienste an, um lokale Initiativen und einen nachhaltigen Güterverkehr zu unterstützen, indem sie datenintensive digitale Innovationen einführt.

Alle drei Städte fördern moderne Geschäftsmodelle für neue Formen der urbanen Logistik, indem sie die Vorteile von Innenstädten und stadtnahen Gebieten nutzen und zuverlässige B2C- und B2B-Lösungen anbieten. Mit diesen Modellen lassen sich nicht ausgelastete Mikrozentren für ein Just-in-Time-Management kartieren, lokale Geschäftsverbindungen und soziale Innovationen fördern und gleichzeitig die Bürger einbinden. Auf diese Weise wird gezeigt, wie öffentliche und private Brachflächen als Konsolidierungszentren fungieren und zur Schaffung neuer Wirtschaftsmodelle beitragen können.

Die Datenräume sind der Weg zu einer vernetzten Logistik, in der alle Beteiligten sicher und zuverlässig Informationen austauschen können. Das DISCO-Projekt ist ein Beispiel dafür und eröffnet einen neuen Weg, auf dem zukünftige Logistikprojekte aufgebaut werden.

 


 

Dr. Sara Sánchez ist Forscherin des Internationalen Logistikprogramms MIT-Zaragoza. Sie hat einen Teil ihrer beruflichen Laufbahn am Forschungsinstitut für Ingenieurwesen in Aragon (I3A) als Forschungsingenieurin für nachhaltige Mobilität absolviert und verfügt über umfangreiche Erfahrungen in internationalen Transport- und Logistikunternehmen, in denen sie strategische Projekte in verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt sowie Logistikstrategien auf nationaler und internationaler Ebene umgesetzt hat.

 


 

Referenzen

  1. He, Zhangyuan, and Hans-Dietrich Haasis. 2020. A Theoretical Research Framework of Future Sustainable Urban Freight Transport for Smart Cities. Sustainability 12 (5): 1975.
  2. Noussan, Michel, Manfred Hafner, and Simone Tagliapietra. 2020. The Future of Transport between Digitalization and Decarbonization. SpringerBriefs in Energy. Cham: Springer International Publishing.
  3. Canzler, Weert, and Andreas Knie. 2016. Mobility in the Age of Digital Modernity: Why the Private Car Is Losing Its Significance, Intermodal Transport Is Winning and Why Digitalisation Is the Key. Applied Mobilities 1 (1): 56–67.
  4. Bigliardi, Barbara, Serena Filippelli, Alberto Petroni, and Leonardo Tagliente. 2022. The Digitalization of Supply Chain: A Review. Procedia Computer Science 200: 1806–15.
  5. Laborda, Josep, Eglantina Dani, Luke Bates, Jim Ahtes, and Rizkallah Touma. Unlocking the Future of Mobility with European Data Spaces. EIT Urban Mobility, Factual Consulting, I2CAT Foundation. November 7, 2023.
  6. DISCO - Upscaling a New Generation of Urban Logistics. n.d. DISCO.